Das Kinderheim „Marienfrieden“ ist so gar kein friedvoller Ort. In dem Kinderheim im sauerländischen Arnsberg-Hüsten wurden fast 50 Jahre lang Kinder gequält und brutal missbraucht. Der Heimbetreiber – bis heute der „Sozialdienst katholischer Frauen“ (SkF) – weigert sich hartnäckig, die Opfer zu entschädigen. Nun hat die IG Heimkinder eine Musterklage beim zuständigen Landgericht vorgelegt.

Die ersten Fälle brutalster Übergriffe auf die, in dem Heim untergebrachten Kinder wurden bereits aus der Zeit zwischen 1945 und den 1970er Jahren bekannt. Immer wieder hatten sich ehemalige Heimkinder zu Wort gemeldet und von ihren Qualen berichtet. Im Jahre 2010 griff dann die Lokalzeitung „Westfalenpost“ die Geschichte einer Frau auf, die in der Nachkriegszeit in dem Heim leben musste. Der Träger der Einrichtung – damals wie heute der SkF – sagte gegenüber der Zeitung, man nehme die Sorgen der Ehemaligen sehr Ernst und wolle nichts vertuschen. Den Wunsch der Frau, eine angemessene Entschädigung für den Horror zu erhalten, wies die Vorsitzende des Trägervereins damals mit Hinweis auf die Politik zurück. Auf die Frage, ob es in jüngerer Vergangenheit weitere Fälle von Missbrauch und Misshandlung in dem Heim gegeben habe, antworteten die Verantwortlichen damals, man habe darauf keine Hinweise. Man würde aber jedem Hinweis nachgehen. Heute wissen wir, dass diese Aussage glatt gelogen war und offenbar zur Strategie des kirchennahen Vereins gehört.

Mehrjährige Recherchen und zahllose Interviews mit Ehemaligen haben ein wahres Horrorszenario zu Tage gebracht. Demnach gingen die schrecklichen Übergriffe in dem Heim auch nach der Entlassung der damaligen Heimleiterin Gertrud L., ende der 1960er Jahre weiter. Einen Höhepunkt erlebten sie, als der Heimbetreiber in den 1970er Jahren den pädophilen Heimleiter Gerhard S. einstellte. Der missbrauchte zahllose Kinder und Jugendliche. Allein der IG Heimkinder sind hunderte Fälle schwerster Vergewaltigungen bekannt.

Was jetzt zum Problem für die Heimbetreiber werden könnte ist die Tatsache, dass die Verantwortlichem beim SkF von dem dringenden Verdacht gegen den Heimleiter wussten. Schon früh waren sie darüber informiert worden, dass Kinder von Übergriffen berichteten. Dennoch durfte Gerhard S. weiter in dem Heim als Leiter tätig sein. So wurden ihm immer neue Opfer zugeführt, die man hätte schützen können, wenn denn jemand den perversen Mann gestoppt hätte.

Wirklich tätig wurde der SkF erst, als eines der zahlreichen Opfer sich mit Schadenersatzforderungen an den Verein wandte. Das war im Jahr 2012. Der zu diesem Zeitpunkt bereits pensionierte Heimleiter erhielt erst zu diesem Zeitpunkt ein Hausverbot. Dies, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Opfer beim Täter Forderungen angemeldet hatten. Recherchen der IG zufolge, hat es der SkF in allen Fällen abgelehnt, die Opfer zu entschädigen. Dies, obwohl inzwischen nachgewiesen ist, das eine Vielzahl der Fälle nie stattgefunden hätte, wenn der Heimbetreiber seine Pflichten erst genommen hätte und sofort nach Bekanntwerden der ersten Fälle, den Mann der Justiz übergeben hätte.

Die IG Heimkinder hat einen der jüngeren Fälle aufgegriffen und für den Betroffenen, Verhandlungen mit dem Heimbetreiber SkF geführt. Der heute 50-Jährige wurden von dem Heimleiter S. in mehr als einhundert Fällen brutal missbraucht. Die Folgen für den damals 13-Jährigen waren gravierend: Schulischer Absturz, Ausbildung abgebrochen, psychische Probleme. Ein verpfuschtes Leben, das hätte ein schönes Leben werden können, wenn der Heimbetreiber seine Verantwortung ernst genommen hätte. Keine Frage, dass der Mann Anspruch auf eine Entschädigung dafür hat, dass in seinem Leben auch wirtschaftlich alles ganz anders ablief, als bei einem Menschen, der einen solchen Horror nicht erleben musste. Diesen Anspruch haben die Opfer zumindest mit Blick auf Moral und alle die Dinge, die die Kirche doch so gern kommuniziert.

Der Heimbetreiber lehnte es ab, über eine Entschädigung für den Betroffenen zu sprechen. Die Geschäftsführerin der SkF-Bundeszentrale in Dortmund teilte mit, man sei für das Heim rechtlich nicht verantwortlich. Das Heim sei zwar damals in ihrem Verantwortungsbereich betrieben worden, gehöre jetzt aber dem Regionalverein SkF-Hochsauerland. Dort wollte man von Verantwortung im Sinne einer finanziellen Entschädigung auch nichts wissen. Von Seiten der Politik sei ja nur Gesprächskreis-veranstalten beschlossen worden. Eine rechtliche Verpflichtung zur Entschädigung sehe man nicht, hieß es sinngemäß. Darüber hinaus habe das Opfer ja einen kleineren Betrag von dem Täter erhalten. Das müsse ja nun wirklich reichen. Dass der Heimbetreiber durch seine Verletzung der Überwachungspflichten in erheblichem Maße an den Taten beteiligt war, rechtfertige nah Auffassung des Vereins keinen Schadenersatzanspruch.

Das vom IG betreute Opfer war im Angesicht einer solch unverschämten Weigerung, Verantwortung zu übernehmen geschockt. Er willigte ein, mit Unterstützung der IG einen Musterprozess zu führen. Jetzt muss das zuständige Landgericht in Arnsberg darüber entscheiden, welche Ansprüche den Opfern zustehen. Der beklagte Verein hat jetzt noch die Möglichkeit, bei Gericht die Verjährung der Ansprüche geltend zu machen. Das würde gut ins Bild passen.

Die IG Heimkinder stellt in diesem Zusammenhang die Frage, wie eine Organisation mit einem solchen Verständnis von Verantwortung noch heute bundesweit Kinder und Jugendliche betreuen kann.

Die IG weiß aus den zahlreichen Interviews, dass es noch viele Opfer gibt, die noch nicht über ihre Erlebnisse gesprochen haben. Diesen Menschen steht die IG jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung.

 

Bild: Trügerische Idylle – das Kinderheim Marienfrieden heißt heute Familienzentrum.

 

21 Kommentare

  1. Hr. Gerhard S. war vor seiner Tätigkeit als Heimleiter auch als Erzieher im Jugenddorf Warburg tätig.
    Ich selbst war dort 9 Jahre.Er befummelte auch schon dort die Jungen.Anfang der siebziger wurde noch schön geprügelt.Er war besonders brutal und konnte so alle einschüchtern.Das interessierte aber niemanden von der Heimleitung ,da er ja eine Mustergruppe hatte .

  2. Ich finde es nicht fair über den mittlerweile verstorbenen Gerhard S. so dermaßen herzuziehen. Das gehört sich nicht, denn er kann sich nicht mehr wehren. Ich kannte ihn persönlich und er war eine Persönlichkeit die im christlichen Sinne handelte. Er war in kirchlichen Kreisen sehr angesehen und hatte dort sogar ein Amt. Er war über viele Jahre Heimleiter in Maria Frieden. Wenn zu seiner Zeit etwas vorgefallen wäre, warum hat man das nicht angezeigt? Jetzt ihn schlecht zu machen das kann jeder, weil er nicht mehr unter uns ist! Es wird auch die Wahrheit nicht ans Licht kommen. Also Schluss mit den Anschuldigungen gegenüber Gerhard S.

    • Aufgrund der vielen Zeugen und Betroffenen, deren Aussagen uns vorliegen, gibt es nicht die leisesten Zweifel am Ausmaß der Taten des Herrn S.
      Wir finden es allerdings befremdlich, dass es da draußen Menschen gibt, die derartige Intensivtäter auch noch verteidigen.

  3. Kann es nicht glauben was dort berichtet wird. Habe selber von 1976-1985 dort gelebt. Kann sich ein Mensch so verstellen oder war ich zu naiv? Denke an die Menschen denen soviel leid angetan wurde.

  4. Ich bin zutiefst betroffen weil ich von 1976-1985 dort gelebt habe. Mir ist Gott sei dank so etwas nicht passiert. Ich frage mich nur warum wurde dann geschwiegen und erst jetzt wird es publik.

  5. Ich finde ,auch wenn jemand schon verstorben ist,kann man sein Fehlverhalten anprangern.Damit klagt man auch die an,die eine Ahnung von seinen Treiben hatten und nichts dagegen taten.Ich spreche nicht von den betroffenen Kindern,sondern von Erwachsenen.Ich weiß wovon ich spreche .Ich war selbst ein Opfer von Gerd S.
    und kenne auch noch andere Betroffene. Es gab auch Erzieher die eine Vermutung gegen ihn hatten,aber sich nicht trauten etwas zu sagen. Wahrscheinlich sollte die schöne christliche Fassade nicht bröckeln.

  6. Sehr geehrter Angelika.

    Zu Ihrer Verteidigung ist zu sagen, dass ich absolut nachvollziehen kann, dass Sie, wenn Sie ihn persönlich kannten, diesen Aussagen erst einmal keinen Glauben schenken. So ging es zuerst allen die mit ihm zu tun hatten. Mit meinen heutigen Wissen kann ich nur sagen, dass er ein exzellenter Schauspieler war.
    Gerd S. ist in unserer Familie ein und aus gegangen; War auf jeder Familien Feier zugegen und meine Kinder haben ihm vertraut. Ich kann nur von Glück sagen, dass sie nie von ihm missbraucht wurden.

    Einige der misshandelten Kinder kenne ich persönlich. Unter anderem auch einen, der als junger Erwachsener Selbstmord begangen hat. Die Kinder haben sich damals an die KFD gewandt und man hat Ihnen nicht geglaubt. Vielmehr hat man Gerd S. noch einen Platz in der Kirche gegeben, hinter dem er sich noch besser verstecken und noch mehr Missbräuche betreiben konnte.

    Für mich ist das vergleichbar mit den Menschen die heute noch sagen: „Nicht alles was Hitler gemacht hat war schlecht!“ Obwohl man doch heute genau weiß, dass er die guten Taten nur der Deckmantel für seine Verbrechen waren.

    Leider gibt es heute immer noch so viele Menschen die diese Ignoranz besitzen; Vor allem in der Kirche. Ein Hauptgrund warum so viele „Sehende“ dieser den Rücken kehren. Unterstützen Sie lieber die Missbrauchsopfer, die hätten Ihren Zuspruch mehr verdient.
    Leider konnte meine Familie nicht mehr tun, als sämtliche Fotos, auf denen Gerhard S. war, zu vernichten. Er kann von Glück sagen, dass er den Abgang geschafft hat bevor wir von den Misshandlungen erfahren haben, denn spätestens dann hätte er keine Freude mehr am Leben gehabt!
    Überdenken Sie bitte noch mal Ihr Aussagen und handeln Sie nicht nach dem Motto: „Was nicht sein darf, dass nicht sein kann.“
    So ist das Leben nicht.

    Jeder von uns steht in der Pflicht hilfsbedürftige Menschen und vor allen Dingen Kinder zu unterstützen und zu schützen.
    Einen pädophilen Kinderschänder zähle ich nicht dazu!

  7. Leider ist es so, dass viele Kinder, die von Erwachsenen missbraucht werden, sich hinterher noch dafür schämen und sich selbst die Schuld geben, zumindest war es bei mir so.
    War von 1977 bis 1980 im Jugenddorf Warburg, wurde dort wie ein Schwerverbrecher behandelt. Mit Einschüchterung und Ohrfeigen wurde uns Gehorsam von Prügelpädagogen eingebläut.Wir kamen aus zerrütteten Familien und hatten daher keine Rechte, sollten unsere Schnute halten und es so hinnehmen,was verlangt wurde. Eigenes Denken, war verboten. Werde heute noch wütend, wenn ich an diese Zeit denke. Dabei waren wir doch nur Kinder, die sich nach Liebe, Anerkennung und Geborgenheit sehnten.
    1977, in den Sommerferien sind wir für 3 Wochen nach Hüsten zu dem Kinderheim gefahren, um dort Ferienlager zu machen, dort lernte ich Herrn S. kennen.
    Hätte ich nie gedacht, dass er so ein perfides Spiel spielt, aber ich war ja noch grün hinter den Ohren.
    Ich finde es wahnsinnig toll, dass Sie sich für die Opfer ehrenamtlich einsetzen. Meinen ganzen Respekt dafür. Und hoffentlich erreichen sie ihre Ziele, jedenfalls drücke ich ihnen ganz fest die Daumen.

  8. Seit wann ist er denn tot?
    Ich war auch 4 Jahre dort. Meine Geschwister in Warburg. Allerdings war der G.S. Da schon in Hüsten. Ich hab ihn also auch gekannt aber leider nicht mitbekommen was er da so trieb.
    Ein guter Schauspieler. Und keiner hat was gesagt? Unverständlich!

  9. Zu Angelikas Beitrag:
    Ich musste mir diesen Beitrag wirklich dreimal durchlesen. Ich konnte gar nicht fassen das es wirklich eine Ehrliche Meinung sein kann. Angelika, sie schreiben das es nicht FAIR sei über diese Person solche Worte zu wählen. War er FAIR? Nein, war er nicht.
    Sie schreiben so etwas gehört sich nicht. Er kann sich nicht wehren. Konnten sich die Zahlreichen Kinder und Jugendlichen wehren? Nein, konnten sie nicht. Er war nicht der Mann für den sie ihn gehalten haben, oder dieser Mann von dem sie immer noch eine hohe Meinung besitzen, weil er ein Amt in der Kirche besaß. Er in Ihren Augen eine Persönlichkeit war. Auf ihre Frage zu antworten warum man ihn nicht angezeigt hat.
    Weil seine Opfer Angst hatten! Angst vor ihm und seinem großen Einfluss auf alle Personen die in seinem Umfeld agierten. Diese Kinder und Jugendlichen waren gebrochen. Ihr Selbstbewusstsein wurde von Tag zu Tag mehr von ihm vernichtet, bis am Ende nur noch ein ängstliches Kind übrig blieb! Sie hatten nicht mehr die Kraft sich gegen ihn zu stellen. Und die, die es versucht haben , haben am Ende keine schöne Zukunft vor sich gehabt. Denn nach Schulabbruch und ohne Zukunftsperspektive musste man nun damit weiter leben. Die geschändeten Kinder und Jugendlichen mussten damit leben was ihnen dieser Mann angetan hat. Ist das FAIR? Sie haben große Psychische Probleme entwickelt, die bei vielen bestimmt bis heute anhalten. Damit müssen sie leben und immer noch kämpfen! Vielen von ihnen ist es bestimmt bis zum heutigen Tag immer noch nicht möglich ein schönes Leben zu führen, weil dieser Mann alles zerstört hat! Ist das FAIR?
    Obwohl sie Angelika überhaupt keine Vorstellungskraft besitzen was damals. In welcher Zeit auch immer. Passiert ist, gehört es sich nicht über die Opfer so zu reden und mit ihren Aussagen Unwahrheiten verbreiten möchten. Sie schreiben – das die Wahrheit nicht ans Licht kommen wird. Doch Angelika- die Wahrheit wird an Licht kommen.! Er muss sich vielleicht nicht mehr vor diesem Gericht auf Erden verantworten. Aber die Gerechtigkeit hat immer das letzte Wort. Und ich weiß, was für ein Mensch er war. Glauben sie mir!

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein